Die Arbeit der Sektion Perspektive Resilienz
Im Mittelpunkt der Sektionsarbeit steht die Diskussion um psychosoziale Prävention und Unterstützungsangebote für alle Mitarbeiter der Berufsgruppen der prä- und innerklinischen Notfall-, Akut- und Intensivmedizin. Abgrenzend zur Sektion „Psychologische Versorgungsstrukturen in der Intensivmedizin“, die sich maßgeblich den Belangen der Patienten und Angehörigen widmet und in Verbindung mit den Mitarbeitenden betrachtet (1), steht bei der Sektion „Perspektive Resilienz“ die psychische Gesundheit des medizinischen Personals im Vordergrund.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatten um psychosoziale Arbeitsbelastungen, Fehlbeanspruchungsfolgen und vorzuhaltende Maßnahmen im Gesundheitswesen und in der Notfall-, Akut- und Intensivmedizin stand zu Beginn der Sektionsarbeit zunächst die Frage nach vorliegenden empirischen Daten im Vordergrund. International liegen bereits zahlreiche Studien und mehrere Übersichtarbeiten für die Akut-, Intensiv- und Notfallmedizin vor (2-5). Im deutschsprachigen Raum wurden gerade in jüngster Vergangenheit und werden aktuell zahlreiche „Umfragen“ und wissenschaftliche Studien durchgeführt. Arbeiten, die ein breites Spektrum alltäglicher und vor allem auch extremer Belastungssituationen erfassen, liegen jedoch nicht für alle Bereiche der Notfall-, Akut- und Intensivmedizin vor (6). Es werden die (gesundheitlichen) Folgen der Belastungen relativ breit diskutiert: Burnout, mangelnde Arbeitszufriedenheit, Dropout-Absichten etc. werden jedoch häufiger als die schweren individuellen Traumafolgen (z.B. post-traumatische Belastungsstörung) oder die institutionellen Folgen, z.B. die Beeinträchtigung der Versorgungsqualität durch Personalmangel, betrachtet (7, 8).
Im Rahmen der Sektionsarbeit soll der Blick weniger auf pathogene Einflüsse gelenkt werden, sondern vielmehr auf jene Faktoren, die dazu beitragen, dass das Personal trotz hoher Belastungen gesund bleibt und langfristig in der Lage sein kann, eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung zu leisten. Fragestellungen dieser Art sind seit über 60 Jahren Gegenstand der psychologischen „Resilienz“-Forschung (9). Der Begriff der Resilienz wird unterschiedlich definiert und heterogen verwendet: Resilienz als Persönlichkeitsmerkmal im Ergebnis einer gesunden Entwicklung, als rasche Erholung nach schwerwiegenden Ereignissen, als „besserer“ Bewältigungsverlauf, als „besseres“ Bewältigungsergebnis, als Bewältigungsressource etc. (10-12). Der Begriff wird für Individuen (individuelle Resilienz), aber auch für Organisationen bzw. sozial-räumliche Settings (gemeinschaftliche und organisationale bzw. institutionelle Resilienz) angewendet und kann entsprechend auch auf die Systeme bzw. Organisationsstrukturen in Präklinik und Klinik übertragen werden (13, 14). Ausgehend von dieser „Perspektive Resilienz“ sollen Maßnahmen und Handlungsempfehlungen für alle Berufsgruppen in der Notfall-, Akut- und Intensivmedizin abgeleitet werden.
Derzeit existieren bereits Empfehlungen für vorzuhaltende Hilfesysteme und durchzuführende Maßnahmen. Dabei besteht jedoch die Gefahr der Implementierung von Einzel-Maßnahmen ohne Einbettung in ein strukturiertes Gesamtsystem (15, 16). Im Kontext der betrieblichen Gesundheitsförderung werden die psychosozialen extremen Belastungen noch selten aufgegriffen. Zwar beschreibt die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung ein Verfahren, mit dem Beschäftigten auch in Krankenhäusern zeitnah nach Extremerfahrungen Hilfe im Rahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes angeboten werden sollten (17), jedoch ist dies insgesamt zu wenig bekannt, geschweige denn, dass eine Meldung von Extremereignissen und eine Inanspruchnahme von Hilfen nach psychischen Arbeitsunfällen aktiv gefördert würde. Ein etabliertes und qualitätsgesichertes System der Psychosozialen Vorbereitung und Nachsorge vergleichbar der präklinischen Psychosozialen Notfallversorgung liegt bisher nur für ausgewählte Kliniken vor (18), wird bisher aber innerklinisch nicht flächendeckend vorgehalten (19). Die Sektion setzt sich ein, diese Situation für das medizinische Personal zu verbessern.
Die Sektion hat sich mittelfristig sechs Ziele gesetzt:
- Das Thema der psychosozialen Belastung des Personals soll den Verantwortlichen der Klinik und der Öffentlichkeit nähergebracht werden. Dabei soll das medizinische Personal in dem komplexen Gefüge der Akut-, Intensiv- und Notfallmedizin in den Vordergrund gestellt werden und im Fokus der Fürsorge stehen.
- Die Forschung zu den bereichsspezifischen und bereichsübergreifenden beeinträchtigen-den, und förderlichen Einflüssen auf die psychosoziale Gesundheit des medizinischen Personals der Notfall-, Akut- und Intensivmedizin soll vorangebracht werden. Dabei soll der Fokus explizit auf Faktoren gelegt werden, die Resilienz fördern. Das übergeordnete Ziel ist dabei die Entstehung einer evidenzbasierten und damit belastbaren Datengrundlage nach aktuellen methodischen Standards.
- Eine Bestandsaufnahme bereits bestehender Unterstützungsangebote im medizinischen Berufsalltag, sowie die Identifizierung von qualitativ hochwertigen Angeboten der Krisenintervention.
- Dezidiertes Ziel ist die Entwicklung von Empfehlungen zur Stärkung der Widerstandskraft und psychosozialen Gesundheit des pflegerischen, rettungsdienstlichen und ärztlichen Personals in den genannten Bereichen. Als Qualitätskriterium geht die Umsetzbarkeit der Empfehlungen unter realen Arbeitsbedingungen ein. Dieses Ziel stützt die Nachhaltigkeit sowie die Akzeptanz der Empfehlungen.
- Die flächendeckende Implementierung von Angeboten der Krisenintervention, sowie für niederschwellige Unterstützungsangebote für das klinische und präklinische medizinische Personal nach beruflichen Extremereignissen soll überprüft und vorangetrieben werden. Ziele in diesem Kontext sind ebenfalls die evidenzbasierter Qualitätssicherung, sowie eine aktive Vernetzung der interprofessionellen Akteure.
- Ziel der Sektion Perspektive Resilienz ist es, bestehende Projekte, die zu einer Stärkung der Resilienz des gesamten medizinischen Personals in Präklinik und Klinik beitragen, zu identifizieren, zu unterstützen, auszubauen, zu vernetzen und damit die Basis für qualitativ hochwertige, professionelle Unterstützung zu ermöglichen und zu gewährleisten.
Quellen
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- Beerlage, I., Arndt, D., Hering, T. & Springer, S. (2009). Arbeitsbedingungen und Organisationsprofile als Determinanten von Gesundheit, Einsatzfähigkeit sowie haupt- und ehrenamtlichem Engagement bei Einsatzkräften in Einsatzorganisationen des Bevölkerungsschutzes. (Abschlussbericht, September 2009. Magdeburg. Abrufbar unter www.gesundheit-im-einsatzwesen.de
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